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Rezension (Kritik)

Irgendwas mit Babylon...

 

„Irgendwas mit Babylon!“ rief der Rezensent im Herausgehen zu seiner Frau, die noch eben nach dem Namen des Stücks fragte, das auf dem Spielplan der Schule stand. „Bestimmt geht´s um Sprachverwirrung, oder so“, vermutete die etwas ratlos und damit dürfte so ungefähr die Erwartungshaltung des diesjährigen Publikums der Abschlussvorstellung des Literaturkurses 2015/16 der BvS-Gesamtschule umrissen sein. Die Ratlosigkeit legte sich, um es vorweg zu nehmen.

Dürrenmatt jedenfalls mal wieder; ein Stammgast auf der BvS-Bühne. Nach „Achterloo“, dem „Besuch der alten Dame“ und dem “Porträt eines Planeten“ in der Vergangenheit inszenierte Stefan-Georg Schnorr mit seinem diesjährigen Literaturkurs die tragische, stellenweise bitterböse Komödie „Ein Engel kommt nach Babylon“ aus dem Jahre 1953. Die Schüler/innen selbst haben wohl gespürt, dass die auf den ersten Blick etwas eigentümliche Auswahl des wenig bekannten Stücks erklärungsbedürftig ist.  Schließlich will dem geneigten Publikum erläutert sein, warum es so kurz vor den Sommerferien eine dramatische Zeitreise ins vorchristliche Reich Nebukadnezars unternehmen soll. Wer sie antrat, kehrte nach 90 Minuten allerdings eindeutig bereichert zurück; wie es sich für eine anständige Reise gehört.

Warum? Zunächst einmal wegen der Freude, mit der eigenen Nase auf allerlei Aktualitäten gestoßen zu werden. Das macht einfach Spaß und befriedigt Hoffnungen. Wenn Nebukadnezars Erzminister zum Beispiel feststellt, in Zeiten der „Demütigungen“ neige die Politik zu sozialer Freundlichkeit, freut man sich über ein Aha-Erlebnis. Das ist doch heute genauso?! Andererseits ist, gerade bei Dürrenmatt, längst nicht alles „Idee“ und „Konzept“. Die Bühne ist ein Ort des Spiels und der Lust und für eine Schüleraufführung ist es mehr als angemessen, sich ihr hinzugeben. Vielleicht erklärt sich aus den Möglichkeiten dazu die Vorliebe für Dürrenmatt: „Ich gehe nicht von einer These, sondern von einer Geschichte aus.“ Dürrenmatts hypermodernes Credo von 1961 beherzigen heutzutage die Autoren von Kultserien wie „Prison break“ oder „Californication“- und eben völlig richtigerweise die Regie der BvS-Inszenierung. In ihrem Mittelpunkt stand Handlung, Action, der Plot. Die Geschichte eines aus dem Nichts geborenen Engels, der die schöne Ordnung ins Chaos kehrt, dem sie alle in Anbetung und Liebe verfallen: Die Bürger, das Volk. Nebukadnezar selbst, sogar der Chef-Theologe. Schließlich sind es doch Geschichten, die uns fesseln und begeistern und inspirieren?

„Die Kunst des Dramatikers besteht darin, in einer Handlung den Zufall möglichst wirksam einzusetzen.“, schreibt Dürrenmatt an anderer Stelle. Also: Ran an die dramaturgischen Chancen, die die Zufälle des Lebens eröffnen! Mal gucken, was passiert, wenn sich der Herrscher des gewaltigen Reichs als armer Bettler verkleidet unter das Volk mischt. Andererseits: Der Stoff mag noch so prickelnd sein, ohne komödiantisches Talent der Interpreten „lebt“ das Drama nicht, sonst müsste es gar nicht gespielt werden. Dieses Talent ist bei den Schülerdarstellern -man muss sagen: überraschenderweise!- reich vorhanden, bzw. wurde erprobt und entwickelt- was ein großer Unterschied ist: Beim intriganten Gauner-Bettler Akki (Paul Lenk), dem verliebt-verzweifelten Nebukadnezar (Tim Overtheil: Da bekam man echtes Mitleid…), den Genrefiguren Omar (Simon Schmitz) & Youssuf (Gianni Warzecha), die so überzeugend Schnapsleichen spielten, dass man geneigt war, nach der Aufführung einmal den Inhalt der Glasflaschen auf der Bühne zu prüfen... Bei der mit strahlend-herzlichem Lächeln massenmordenden Henkerin (Safira Müller-Alpers) und dem unschuldig-naiv Verwirrung stiftenden Engel (Marie Reuter) sowie dem Personenarsenal insgesamt und bis in die kleinste Nebenrolle hinein.

Zur Gattung gehört selbstredend ein tragisches Element, verkörpert durch Kurrubi, dem reinen, gottesnahen Elfenwesen, das nichts von „Humanität“ hören will, sondern den Menschen vormacht, wie´s geht- das Lieben. Oder besser: Gehen sollte. Großartig, wie Angelina Tsoukalas das Leid an der Borniertheit, der Liebesunfähigkeit der Menschen lebendig werden lässt. Das ist dann endgültig mehr als „seriöses Handwerk“; es ist Schauspielkunst.

Der Stückbrief listet 25 Darsteller/innen auf. Sie alle waren in weiteren anspruchsvollen Funktionen gefragt, um aus einer Projektidee zwei Veranstaltungsabende werden zu lassen: Als Bühnenarbeiter, Requisiteure, Techniker, Souffleusen, Maskenbildner. Den Gesamtüberblick behielt wie immer Stefan-Georg Schnorr, der seine Truppe vor dem Hintergrund bescheidener schulischer Bedingungen zu Höchstleistungen führte. Dass auch das Publikum das so sah, belegte der lang anhaltende Schlussapplaus. Ganz herzlichen Dank dem Regisseur und dem Kurs für diese (mal wieder) großartige Bereicherung des BvS-Schullebens. 

Axel Frieling

 
 
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